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Erste Wette 1946
Wie sollte es weitergehen? Wir erinnern uns an die Skrupel der Eiswettgenossen nach dem 1. Weltkrieg. Damals ging man zunächst davon aus, dass es „keinen Raum“ für die Eiswette gäbe, “weil die fürchterlichen Jahre der ersten Nachkriegszeit uns … seelisch belasteten.“[1] Schwer hatten sich die die Eiswettgenossen mit den Fragen getan, ob man das feucht-fröhliche Herrenessen überhaupt fortsetzen sollte und in welcher Form das gegebenenfalls zu geschehen hätte. Erst 1923 hatte ein Kreis von Ehemaligen ein „Comité“ aus drei Herren gebildet – unter ihnen der spätere Präsident Hans Wagenführ – die zu dem Ergebnis kamen, dass es „eine ganz neue Eiswette“ geben müsste, „denn die Zäsur zur Vergangenheit sei sehr hart.“[2] Zu den Anfängen der Eiswette nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es eine detaillierte Darstellung in der Chronik des Alt-Präsidenten Karl Löbe, die zur 150-Jahr-Feier 1979 erschien.[3] Er berichtet, dass sich schon acht Monate nach Kriegsende ein Kreis von 12 Eiswettgenossen traf, der entschlossen war, die Feier wiederzubeleben. Möglicherweise hat ein Umstand zu diesem schnellen Entschluss beigetragen, der erstaunt: Man hat sich anscheinend – zumindest privatissime – noch in den ersten Kriegsjahren getroffen. Noch 1940 und 1941 wurde für die „Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger“ in einer Höhe gespendet, die der auf den großen Feiern der dreißiger Jahre entsprach. [4] Für 1942 ist sogar die Aufnahme eines neuen Mitglieds dokumentiert. Jedenfalls lud Präsidiumsmitglied Hans Degener-Grischow schon am 18. Januar 1946 den Kern der Eiswettgenossenschaft in seine Wohnung in der Parkstraße ein.
[1] Rudolph Feuß in der Festschrift zur Hundertjahrfeier „Eiswette von 1829 Bremen“, 1929, a.a.O., S.36. Vgl. Kapitel 2 der Website: „Kriegsschock und Revolutionstrauma“.
[2] a.a.O. Zitat aus: Karl Löbe, 150 Jahre Eiswette von 1829 in Bremen. Bremen 1979, S. 115. Löbe war von 1968 bis 1970 Präsident der Eiswette. Unsere Ausführungen zur Nachkriegszeit stützen sich auf seine Chronik.
[3] Karl Löbe, a.a.O., S.123 – 128.
[4] 1940 wurden 1100 RM, 1941 2000 RM an die DGzRS gespendet. Aufgenommen wurde 1942 ein gewisser Gustavus Haac. Diese Angaben finden sich in der Gedenkschrift zum 125. Stiftungsfest vom 16. Januar 1954, a.a.O., StAB Ak-9999-25.
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Es kam (bis auf einen gewissen Dr. Gerlach, der vermutlich verstorben war) das komplette Präsidium der dreißiger Jahre [1]: neben „Notarius Publicus“ (Protokollführer) Degener-Grischow (1924) [2] waren es der „Staats-Hämorrhoidarius“ (Kassenwart) Kapitän Eduard Bartels (1935), „Poeta laureatus“ Otto Heins (1927), der langjährige „Revisor“ Direktor Paul Schwerdt (1924), Heinrich Tietjen (1936; er war schon 1923 Mitglied des vorbereitenden „Comités“) und C. A. Wuppesahl (1924). Auch die übrigen Teilnehmer waren – mit Ausnahme von Oberfinanzpräsident Friedrich Carl, der aber häufiger Gast in den zwanziger und dreißiger Jahren gewesen war – langjährige Eiswettgenossen: Karl Bollmeyer (1938), von 1933 bis 1945 Präses der Industrie- und Handelskammer, bzw. der Gauwirtschaftskammer, Direktor R. Claessens von der Straßenbahn (1927), Bankdirektor Hermann Krause (1935), Direktor Werner Mathias (1931) und Direktor August Schneider (1927). „Trotz der Ungunst der Zeit, in der es an allem fehlte, nur nicht an Hunger und Sorgen,“ schreibt Löbe, verzagte „nicht einer (…), die Eiswette wieder erstehen zu lassen.“ [3] Kassenwart Bartels legte bereits eine Abrechnung im fiskalischen Sinn des Wortes vor, und man beschloss, der DGzRS und der „Bremer Volkshilfe“ im Spendensplitting sofort je 100 RM zukommen zu lassen. [4] Dazu musste man nicht einmal in die eigene Tasche greifen, weil zwei Bankkonten Guthaben in Höhe von 2275 RM, bzw. 283,99 RM aufwiesen. An diesem Tag wurde tatsächlich schon die erste Wette für das nächste Jahr abgeschlossen. Neuer Protokollführer wurde C. A. Wuppesahl. Es bedurfte nur noch des „unverwüstlichen“ Humors von Otto Heins, um aus diesem Treffen eine Eiswette en miniature zu machen: „Um zu zeigen, dass man sich nicht unterkriegen lassen wollte, trug Heins ein plattdeutsches Gedicht vor und schaffte es, die kleine Gesellschaft zum Lachen zu bringen.“ „Wir sind noch einmal davongekommen“, das Theaterstück von Thornton Wilder aus dem Amerika des Zweiten Weltkriegs, wurde in den Nachkriegsjahren an zahlreichen westdeutschen Bühnen gespielt. Sein Titel könnte die Stimmung widerspiegeln, die am 18. Januar 1946 unter den versammelten Eiswettgenossen herrschte. Wie in alten Zeiten wettete man wieder. Ob die Eiswettprobe am 6. Januar 1947 stattfand, gibt die Chronik nicht her. Jedenfalls hatte man sich für den 5. Februar 1947 verabredet, um die Wette zu „verzehren“. [5]
[1] Über die Zusammensetzung des Präsidiums berichtete ein Artikel in den Bremer Nachrichten vom 14.1.1936 mit dem Titel: „Nachklang zur Eiswette.“
[2] In Klammern steht das Eintrittsdatum in die Eiswettgenossenschaft
[3] Löbe, a.a.O., S. 124.
[4] Die „Volkshilfe“ wurde am 4. August 1945 als Dachverband privater wohltätiger Einrichtungen gegründet. Vgl. Karl Marten Barfuß, Hartmut Müller, Daniel Tilgner (Hrsg.), Die Geschichte der Freien Hansestadt Bremen von 1945 bis 2005. Bd. 1: von 1945 bis 1969, Bremen 2008, S.180. Sie organisierte Haussammlungen durch ehrenamtliche Helfer und setze damit die Tradition des „Winterhilfswerks“ fort.
[5] Darstellung und Zitate aus Löbe, a.a.O., S.124.
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An einen öffentlichen Auftritt im traditionellen Rahmen war nicht zu denken, solange die Entnazifizierungsverfahren der Vorstandsmitglieder und zahlreicher anderer Eiswettgenossen nicht abgeschlossen waren. C.A. Wuppesahl lud daher noch einmal in die Wohnung von Degener-Grischow ein. Die 17 Teilnehmer[1] hatten mitgebracht, „was sich auftreiben ließ.“ Es war „eine für damalige Zeit festliche Tafel“. Man schlemmte wie in früheren Zeiten. Was da zusammenkam, war „überwältigend“: „Wein, Cognac, Heringe, Gries, Butter, Speck, Kartoffeln, Brot, Früchte, Apfelkuchen, … Kaffee, Zigarren und Zigaretten“. Auch hier waren die humoristischen Beiträge von Heins gefragt. „Aber den meisten Raum nahmen ernste Gespräche über die Lage Bremens ein.“ [2] Nun galt es, eine geeignete Persönlichkeit zu finden, die bereit war, die Präsidentschaft zu übernehmen. Das war ein schwieriges Unterfangen, aber auf dem nächsten privaten Treffen, am 29. November im schwer beschädigten Essighaus, war es soweit.[3]
Der neue Präsident
Hugo Gebert, Eiswette-Präsident von 1933 bis 1939, war am 30. August 1944 in seinem Haus beim 133. Luftangriff auf Bremen ums Leben gekommen. Am 4. September 1944 erschien in den Bremer Nachrichten ein Nachruf: „Den letzten Terrorangriffen auf unsere Stadt ist auch Dr. Hugo Gebert zum Opfer gefallen. Mit ihm ist eine in weiten Kreisen bekannte und beliebte Persönlichkeit dahingeschieden. Hugo Gebert war als Rechtsanwalt und Notar sowie in Wirtschaftsorganisationen, zuletzt als juristischer Beirat der Bezirksgruppe der Spediteure, tätig und hat daneben stets lebhaft am öffentlichen Leben teilgenommen. Unvergessen bleibt seine mannhafte Haltung in den Spartakuswirren des Jahres 1919. Wir erwähnen ferner seine rege Anteilnahme am sportlichen und kulturellen Leben und seine langjährige Präsidentschaft der traditionellen bremischen Institution der „Eiswette“. Mit ihm ist ein Mann dahingegangen, der sich stets nachdrücklich für seine Vaterstadt Bremen eingesetzt hat.“[4] Dass er nicht mehr unter den Lebenden weilte, enthob die Eiswette eines Problems, da er als NSDAP-Mitglied nicht wieder für das Amt des Präsidenten in Frage gekommen wäre.
[1] Anwesend waren die (zum Teil später aufgenommenen) Eiswettgenossen Hermann Apelt (Ehrenmitglied 1949), Walter Bartels, Karl Bollmeyer, Heinrich Bömers , Friedrich Carl, R. Claessens, Georg Albrecht Fürst, Helms, Hermann Krause, Werner Mathias, Franz Stapelfeldt, Heinz Tietjen, Hermann Wenhold, Carl August Wuppesahl und als Gäste die Kaufleute Bredenkamp, Ernst Glässel und Scipio. (Die letzten drei erscheinen nicht auf der Mitgliederliste von 1954.)
[2] Darstellung und Zitate aus Löbe, a.a.O., S. 124/125.
[3] A.a.O., S.125.
[4] Hugo Gebert (9.11. 1888 bis 30.8.1944) war Rechtsanwalt und Notar. Seit 1937 war er Mitglied der NSDAP. Vgl. zu Gebert Kapitel 2, Unterkapitel „Trauma und Kapitel und Kapitel 3 „Mit den Wölfen geheult“. Vgl. den Artikel über Hugo Gebert von Hartmut Müller in der „Bremischen Biographie von 1912 bis 1962“ hrsg. von der Historischen Gesellschaft zu Bremen und dem Staatsarchiv Bremen. Bremen 1969, S. 173/174.
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Nun galt es, jemanden zu finden, der politisch unbelastet war, und das erwies sich als ausgesprochen schwierig. Auf dem ersten Treffen am 18. Januar 1946 hatte man Friedrich Carl die „kommissarische“ Präsidentschaft angeboten,[1] aber der hatte aus gutem Grund abgelehnt, denn auch er war NSDAP-Mitglied gewesen. Wegen ihrer laufenden Entnazifizierungsverfahren kam das Amt weder für die alten Präsidiumsmitglieder Degener-Grischow, Otto Heins oder Carl A. Wuppesahl infrage, noch für die Genossen „der ersten Stunde“ Bollmeyer und Bömers. Es kam den Eiswettgenossen der Umstand zugute, dass der Club zu Bremen das gleiche Problem hatte.[2] Kaufmann Alfred Meyer, einer der drei Männer, die ihn wiederbelebten, berichtete zwanzig Jahre später: „Alle Versuche, den Club wieder zum Leben zu erwecken, scheiterten an der Unmöglichkeit, einen neuen, unbelasteten Vorsitzenden zu finden, der der Besatzungsmacht genehm war. Die wenigen Herren, die diese Voraussetzung mitbrachten und außerdem das Format hatten…, waren mit anderen Ämtern so überlastet, dass sie es ablehnten, sich mit dieser undankbaren Aufgabe zu befassen.“[3] Der Rechtsanwalt und Notar Richard Ahlers war einer dieser „selten gewordenen, vielseitig bewährten und unbelasteten Köpfen von Führungsqualität.“[4] Meyer konnte ihn dafür gewinnen, den Vorsitz des Clubs zu übernehmen, was dieser „schweren Herzens“ tat, weil er „durch zahlreiche Ehrenämter und durch seine Praxis überbeschäftigt war.“[5] Am 14. November 1947 wurde er auf der Hauptversammlung des Clubs in das Amt des Vorsitzenden gewählt. Ahlers übernahm auf Bitte von C. A. Wuppesahl auch das Amt des Eiswettpräsidenten, allerdings auch hier mit der Maßgabe, „dass er nur seinen Namen hergeben wolle, die übrigen Mitglieder des Vorstandes aber alle Arbeit leisten sollten.“ [6]
[1] Vgl. Löbe, a.a.O., S. 124.
[2] Vgl. Der Club zu Bremen 1783 – 2008, 225 Jahre in vier Jahrhunderten, hrsg. vom Club zu Bremen, Bremen 2009, S.274 – 276. In dem prachtvollen, reich bebilderten Werk findet sich auch die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des Clubs. Vgl. die Seiten 248 bis 273: „Der Club zu Bremen im Nationalsozialismus. Zwischen Rückzug und Teilhabe“ von Gerda Engelbracht und Andrea Hauser, S. 248 bis 273.
[3] Alfred Meyer, 20 Jahre später, in: Jahrbuch des Clubs zu Bremen, 1953, S. 5 – 17, hier S.14.
[4] Walter Bornemann: Richard Ahlers, Bremische Biographie 1912 – 1962, hrsg. von der Historischen Gesellschaft zu Bremen und dem Staatsarchiv Bremen, bearbeitet von Wilhelm Lührs, S. 8 – 10, hier S.9.
[5] Dr.jur. Richard Ahlers (21.12.1864 – 24.12.1950), Rechtsanwalt und Notar, Rechtsberater großer Reedereien, Banken und Wirtschaftsunternehmen. Mitbegründer der CDU in Bremen, 1947 bis 1949 Bürgerschaftsabgeordneter der CDU, deren Mitbegründer in Bremen er war; Präses der Philharmonischen Gesellschaft, zeitweilig ehrenamtlicher Präses des Kirchenausschusses der Bremischen Evangelischen Kirche. Vgl. Artikel in der Bremischen Biographie, a.a.O.
[6] Alfred Meyer, a.a.O., S.14.
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Auf dem Treffen am 29. November 1947 im Essighaus erklärte ihn Wuppesahl zum neuen Präsidenten.[1] Der Kreis der Teilnehmer hatte sich noch einmal erweitert. Zu den Hinzugekommenen gehörten – außer Ahlers – Generalkonsul Kaufmann August Dubbers (Eiswettgenosse seit 1933) – Mitglied zahlreicher Aufsichtsräte, u.a. in der DG „Hansa“ und in der AG „Weser“, Kaufmann Wilhelm Holsing (1924) und Willy Bartmann (1936), kaufmännischer Leiter der AEG Bremen. Bömers wurde ins Präsidium gewählt, „wobei Wuppesahl bemerkte, dahin gehöre er, denn sein Urgroßvater Lahusen habe zu den Gründern der Eiswette gehört.“[2] Das Präsidium bestand, neben Ahlers, aus Heinrich Tietjen (Vizepräsident), Eduard Bartels („Kassierer) und Carl A. Wuppesahl (Schriftführer); „Beisitzer“ wurden Bömers, Dubbers, Schwerdt, Degener-Grischow und Heins.
Nun hatte man zwar einen politisch unbelasteten Präsidenten, aber solange die Entnazifizierungsverfahren gegen Bömers, Degener-Grischow, Heins und Carl A. Wuppesahl nicht abgeschlossen waren, wagte man immer noch nicht, öffentlich aufzutreten. Man verabredete sich noch zweimal im privaten Rahmen, erst zur Eiswettprobe am 6. Januar 1948, dann zum „Verzehr“ des Wetteinsatzes zu einer „einfachen Zusammenkunft der Mitglieder“, denn „ein großes Fest sollte noch nicht stattfinden“. Wie viele Eiswettgenossen daran teilnahmen, wann und wo das Treffen stattfand, ist nicht überliefert. Es wurde jedenfalls wieder gespendet. Diesmal gingen 500 RM an die DGzRS. Das Splitting-Prinzip zugunsten einer wohltätigen Einrichtung der Stadt hatte man für immer aufgegeben.[3]
[1] Vgl. Löbe, a.a.O., S.125.
[2] Löbe, a.a.O.
[3] Löbe, a.a.O., S.126.
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